Freitag, 20 Juni 2025 19:18

Festanstellungen für Musiklehrkräfte gefordert

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Urteil zwingt Berlin zu Festanstellungen an Musikschulen Urteil zwingt Berlin zu Festanstellungen an Musikschulen Foto: pixabay

Immer mehr Musikpädagogen in Berlin kämpfen um sichere Arbeitsverhältnisse. Trotz eines richtungsweisenden Urteils fehlt bislang das Geld für eine umfassende Umsetzung. Eine Übergangsregelung schafft Zeit, setzt jedoch zahlreiche Lehrkräfte unter Druck. Die Entwicklung betrifft Tausende und wirft ein Schlaglicht auf prekäre Zustände im Kulturbereich.

Inhaltsverzeichnis:

Herrenberg-Urteil zwingt Berlin zum Handeln

Das Bundessozialgericht entschied 2022 im sogenannten Herrenberg-Urteil, dass viele freiberufliche Musiklehrer als scheinselbstständig gelten und daher fest angestellt werden müssen. Diese Entscheidung betrifft unter anderem Ali Ekhtiari, der seit über 30 Jahren an der Leo-Kestenberg-Musikschule in Berlin-Tempelhof arbeitet. Er unterrichtet Kinder in Kitas und Grundschulen, ist jedoch lediglich auf Honorarbasis beschäftigt. Bei Krankheit, Feiertagen oder Ferien erhält er kein Gehalt. Trotz identischer Arbeit wie Festangestellte fehlen ihm soziale Absicherung und ein stabiler Lohn.

Berlin kann die nötigen Mittel für die Umstellung nicht bereitstellen. Eine neue bundesrechtliche Übergangsregelung gibt den Ländern bis Ende 2026 Zeit, entsprechende Lösungen zu finden. Doch statt sofortiger Verbesserungen erhalten Lehrkräfte Schreiben von den Bezirksämtern, in denen sie auf ihre Rechte verzichten sollen. Wer die Erklärung nicht unterschreibt, wird künftig möglicherweise keine neuen Aufträge erhalten.

Druck durch Verzichtserklärungen in Tempelhof-Schöneberg

Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg fordert bis 30. Juni eine Entscheidung von den freischaffenden Musikpädagogen. Auch Ali Ekhtiari erhielt ein entsprechendes Schreiben. Er sieht sich moralisch unter Druck gesetzt, da eine Ablehnung seine Existenz bedrohen würde. Bezirksämter begründen die Maßnahme mit finanziellen und rechtlichen Risiken. Ohne Unterschrift sollen Honorarkräfte keine weiteren Beschäftigungen erhalten.

Kulturstaatssekretärin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) verteidigt die Erklärung als Grundlage für Rechtssicherheit. Sie hält das Herrenberg-Urteil für eine Einzelfallentscheidung und sieht keine generelle Verpflichtung zur Festanstellung. Trotzdem gesteht sie ein, dass große Unsicherheit herrscht und betont die laufenden Gespräche mit Bezirken und Senatsverwaltungen zur Entwicklung einer berlinweiten Lösung.

Berlin weit hinter dem Bundesdurchschnitt

Nur rund 600 von 2.400 Berliner Musikschulkräften sind festangestellt – etwa 25 Prozent. Im Bundesdurchschnitt sind es dagegen etwa 75 Prozent. Das zeigt, wie stark Berlin im bundesweiten Vergleich zurückliegt. Der Großteil arbeitet auf Honorarbasis mit erheblich geringerer Absicherung und niedrigem Einkommen.

Die SPD-Kulturpolitikerin Melanie Kühnemann-Grunow fordert eine schrittweise Umstellung. Als ersten Schritt sollen bestehende Honorare in feste Verträge überführt werden. In späteren Haushaltsverhandlungen müsse dann weiteres Geld eingeplant werden. Auch die Senatskulturverwaltung plant langfristige Erhöhungen der Festanstellungen – jedoch ohne kurzfristige Umsetzung.

Lehrermangel und Abwanderung in andere Bundesländer

Verdi-Gewerkschafter Konstantin Kohl verweist auf Umfragen, laut denen rund 80 Prozent der Honorarkräfte eine Festanstellung wünschen. Er kritisiert den aufgebauten Druck als inakzeptabel. Die Unsicherheit führe zudem zu einer Abwanderung von Fachkräften. Kühnemann-Grunow warnt, dass bereits mehrere Berliner Musikschulen Wartelisten mit bis zu 2.000 Kindern führen. Brandenburg habe nach dem Urteil deutlich mehr Honorarkräfte übernommen.

Für den kommenden Doppelhaushalt 2026/27 sind im Kulturbereich erneut Kürzungen vorgesehen. Zusätzliche Mittel für mehr Festanstellungen sind nicht eingeplant. Damit bleibt die berufliche Zukunft vieler Musikpädagogen ungewiss. Auch Ali Ekhtiari steht vor einer schweren Entscheidung – und wird die Erklärung vermutlich unterschreiben müssen.

Quelle: RBB24, www.welt.sn2world.com